Die Frage nach der Interessenkollision eines beratenden Rechtsanwalts oder Patentanwalts spielt nicht nur in dessen täglicher Praxis, sondern vor allem bei einem sog. Sozietätswechsel (also dem Wechsel eines Rechtsanwaltes aus der einen Kanzlei in eine neue Kanzlei) eine wesentliche Rolle. Gerade im Marktsegment der Spezialkanzleien (sog. Boutiquen) führen solche Wechsel häufig dazu, dass einzelne Mandate oder gar Mandanten nicht weiter betreut werden dürfen. So sollte stets im Vorfeld des Wechsels eines Rechtsanwalts ein Augenmerk auf die Vorbefassungen von diesem und auf Mandatsverhältnisse in seiner Kanzlei – natürlich unter Wahrung der Schweigepflicht – gelegt und ggfs. berufsrechtlich begutachtet werden.
Nach § 43a Abs. 4 BRAO darf der Rechtsanwalt keine widerstreitenden Interessen vertreten. Dabei handelt es sich um eine anwaltliche Grundpflicht mit dem Zweck, das Vertrauensverhältnis zum Mandanten, die Unabhängigkeit des Rechtsanwalts und die im Interesse der Rechtspflege gebotene Gradlinigkeit der anwaltlichen Berufsausübung zu wahren.
Als ergänzende Bestimmung enthält § 3 Abs. 1 S. 1 BORA diesbezüglich eine Konkretisierung. Danach liegt die Vertretung widerstreitender Interessen dann vor, wenn der Rechtsanwalt „eine andere Partei in derselben Rechtssache im widerstreitenden Interesse bereits beraten oder vertreten hat“.
Das Verbot gilt auch für alle mit ihm in derselben Berufsausübungs- oder Bürogemeinschaft gleich welcher Rechts- oder Organisationsform verbundenen Rechtsanwälte (§ 3 Abs. 2 S. 1 BORA). Nach § 3 Abs. 3 BORA gelten die Abs. 1 und 2 auch für den Fall, dass der Rechtsanwalt von einer Berufsausübungs- oder Bürogemeinschaft zu einer anderen Berufsausübungs- oder Bürogemeinschaft wechselt.
Beim Sozietätswechsler stellen sich dabei ergänzende Frage: Unstreitig darf der Rechtsanwalt nach § 3 Abs. 1 S. 1 BORA keine Mandate in der neuen Einheit bearbeiten, welche er bereits zuvor in der alten Kanzlei bearbeitet hat. Ebenso verhält es sich im Ergebnis, sofern der Wechsler in der alten Sozietät selbst befasst war, die konkurrierenden Interessen aber in der neuen Kanzlei durch einen Kollegen betreut werden. Er „infiziert“ die anderen Sozietätsmitglieder gem. § 3 Abs. 2 S. 1 BORA mit der Folge, dass das widerstreitende Mandat niederzulegen ist.
Der nicht vorbefasste Rechtsanwalt soll nach unserer Meinung jedoch nicht daran gehindert sein, in seiner neuen Kanzlei bzw. das Mandat auf der Gegenseite zu bearbeiten. Ob und unter welchen Voraussetzungen dies möglich ist, beleuchten wir aktuell in unserem Beitrag in der WRP 2/2020 auf den Seiten 166 ff. mit dem Titel „Instrumentalisierung des Berufsrechts als prozesstaktisches Mittel“.